Franz Knopf
Hausaufgabe für die Bewerbung an der HTW in Berlin 2010.
Eines der schwierigsten Dinge der Welt ist, irgend etwas ganz einfach zu betrachten.
Krishnamurti, Vollkommene Freiheit
Man glaubt es kaum, aber wer hier so verwegen und keck in die Kamera lacht, ist Franz, der kleine Knopf.
Er stammt aus der Mantelgattung, ist daumennagelgroß und trägt die hübsche Signalfarbe Rot.
Am liebsten träumt er vor sich hin.
„Franz“, meinte die große Mutternadel eines Tages, „eines der schwierigsten Dinge der Welt ist, irgend etwas
ganz einfach zu betrachten.“ Sie hatte gerade ein Buch von einem indischen Weisen gelesen. „So ein Quatsch“,
dachte Franz nur, „Die Dinge einfach betrachten? Nichts leichter als das. Das mache ich doch jeden Tag.“
Dennoch, der Satz ging ihm nicht aus seinem knopfrunden Kopf. Er haftete an Franz, als wolle er, dass sie
beide eins seien. Wie absurd. Die Sonne brannte grell und erbarmungslos – wie in der Wüste. Franz ließ sich
in den Schatten zweier Fingerhüte fallen. Hier ruhte er sich aus. Reglos und unbewegt. Und je ruhiger er
verharrte, desto eckiger war ihm zumute.
Er träumte und wachte schlaftrunken wieder auf. Danach verspürte er plötzlich große Lust, ein Stück zu wandern.
Nach ein paar Minuten Regenerierungszeit zum Abrunden rollte er abenteuerlustig und singend davon.
Bäche, Flüsse, Berge, Täler. Nach ein paar Stunden gelangte er in den Nadelwald. Es war merkwürdig da.
Leises, hohes Sirren. Dann Rumoren und Scheppern in der Ferne. Nun ganz nah.
Franz wusste nicht, wie ihm geschah. Ein Kribbeln im Bauch. Ein Ziehen an den Füßen. Plötzlich wurde er
ein ganzes Stück zur Sonne empor gehoben. Blendend heißes Licht. Milchig weiße Hände, die seine Rundungen
umschlossen und ihn badeten. Er betrachtete sich. Entsetzen. Was geschah mit ihm? Er, urplötzlich ein Wesen
wie von einem anderen Stern. Erleuchtung?
Franz drehte den Kopf zur Seite. Da schwebte neben ihm im weiten Blau eine Wolke. Wie grandios, solches Werk.
Abermillonen kleinster Wassertröpfchen. Die Wolke winkte ihm. Oder? Moment mal: War es nicht ein Pferd, das da
über den Azur flog und lustig wieherte? Franz sah es ganz deutlich. Doch wo war die Wolke hin? Verschwunden?
Täuschte er sich, oder trug das Pferd ein Schneckenhaus auf seinem Rücken?
Überraschtes Zusammenzucken. Seltsam. Er rieb sich die Augen und ließ den Mund weit offen stehen.
Ein Riese baute sich vor seiner kleinen Gestalt auf, warf seinen gläsernen Blick über das Tal. Franz schluckte
und kratzte sich gedankenvoll am Kopf. Hatte hier nicht noch vor kurzem ein Haus an der Straße gestanden?
Er hätte es schwören können. Aufgeregt lief er umher.
Einen Augenblick später kam er an einem kleinen Teich vorüber. Täuschten ihn seine Augen oder schwammen
dort tatsächlich zwei Eisberge im Wasser? Er wusste gar nicht, dass es so etwas in dieser Gegend überhaupt gab.
Er kannte nur die Schwäne, die hier des Öfteren tauchten. Äußerst mysteriös, das Ganze.
Irgendwie musste es doch einen Sinn ergeben. Je mehr er die Dinge betrachtete, desto schwieriger wurden sie
in ihrer Einfachheit. Sein Magen knurrte. Gab es denn nichts zu essen? Ein Stück Schokolade vielleicht?
Er suchte, dann erblickte er ihn. Den Fischkopf. Gestrandet auf einer Sandbank liegend. Franz rannte hinüber,
wollte genüsslich hineinbeißen und berührte Stein. Stein? Er zückte seinen Fotoapparat.
Was für ein Fund.
Ganz berauscht von seinen Entdeckungen, doch immer noch sehr hungrig, machte er sich zurück auf den Heimweg
und wäre beinahe über einen Tänzer gefallen, der wie zufällig auf dem Boden lag und anscheinend gerade für ein
neues Balletstück probte. Franz Knopf machte erneut ein Foto- wie seine Freunde staunen würden.
Er beugte sich hinab und lächelte wissend.
Wieder zuhause, wurde er von der langen Reise sehr müde.
Er ließ sich in sein Bett plumpsen und wartete auf Mutter Nadel, die sicherlich gleich kommen und ihm Gute Nacht
sagen und einen Kuss geben würde. Wie sehr sich der kleine Knopf schon darauf freute, ihr von seinen Erlebnissen
zu berichten. Ob sie ihm glaubte? Sie musste einfach.